EIN INTERVIEW MIT ANDRE T. von den Anfängen und der Entwicklung des Indoorcyclings
DER ANFANG
First Impact
Wie bist du mit Indoorcycling in Kontakt gekommen?
Oh je, das ist lange her. 1996 besuchte ich in Karlsruhe die “Bodylife”. Zu dieser Zeit befand ich mich am Ende meines Sportstudiums, betrieb intensiv Triathlon und arbeitete nebenbei als Trainer in einem Fitnesscenter. Die “Bodylife” buchte ich im Auftrag meines damaligen Chefs, um dort einige Seminare und Workshops anzuschauen. Als ich so über die Ausstellung schlenderte, hörte ich aus dem Untergeschoss des Gebäudes seltsame, instrumentale Musik. Ich ging hinunter und sah ca. 30 Personen auf stationären Bikes radeln. Auf der Bühne fuhr ein braungebrannter Amerikaner mit langen graumelierten Haaren und nur mit Bipshorts bekleidet, auf einer freien Rolle. Ich verstand nicht viel, aber es ging eine unheimliche Energie von ihm aus. Während er seine Gruppe coachte, sprach er gleichzeitig mit den Zuschauern, die sich um die Fahrer versammelt hatten. Es war Johnny G. – der sein Spinningprogramm erstmals in Europa präsentierte.
Mich hatte nur das Zuschauen schon begeistert. Deshalb strich ich kurzentschlossen alle Seminare, die ich besuchen wollte und schrieb mich in die Teilnehmerliste der Spinninglektionen ein.
Und wie ging es dann weiter?
Zuhause angekommen melde ich mich für die Ausbildung zum Spinning Instruktor an. In der Nähe von Düsseldorf absolvierte ich meine Spinning Certification. Das Problem war nur, dass der Centerbesitzer, für den ich damals als Trainer arbeitete, nichts von Indoor Cycling wissen wollte. Er hielt das Ganze nur für eine vorübergehende Phase und wollte keine Bikes kaufen. Deshalb nahm ich einen Kredit auf, kaufte selber 11 Bikes und bot in seinem Center Lektionen an. Die Nachfrage war sehr gross ich unterrichtete rasch bis zu 10 Lektionen pro Woche.
Damals musste man, um die Spinning Certification zu erhalten, mit Abschluss der Phase 3 einen Test ausfüllen. Das tat ich und schrieb in meiner Begeisterung gleichzeitig die Frage auf den Testbogen: “Wie wird man eigentlich Master Instruktor?” Diese Frage sollte mein bisheriges Leben komplett auf den Kopf stellen.
Feuer und Flamme
Wieso das?
Nun, kurze Zeit später erhielt ich einen Anruf aus der Schweiz. Am Apparat war Theres Mosimann, die damalige europäische Leiterin des Spinning Programms. Sie lud mich in ein Mastercamp ein, welches durch Johnny G. und Joel Mancuso, der sportlichen Direktorin von Madd Dog Athletics (MDA), in Gstaad abgehalten wurde. Eine hoch emotionale und intensive Woche, die ich nie in meinem Leben vergessen werde. Schliesslich gehörte ich seitdem zur ersten Generation der «European Spinning Master Instruktoren» und begann in ganz Europa Instruktoren auszubilden, sowie Spinning auf Events und Messen zu präsentieren.
In den folgenden 4 Jahren boomte Spinning in Europa. Ich hatte ca. 20 – 25 Ausbildungen pro Jahr. 1999 erhielt ich dann das Angebot einer Vollzeitanstellung als Education Manager für das Indoor Cycling Programm. Ich packte meine Sachen, verliess Deutschland und zog in die Schweiz, weil dort in Givisiez der europäische Hauptsitz von Schwinn war. Indoor Cycling wurde zu meinem Beruf. Ich war in dieser Zeit u.a. mitverantwortlich für die Weiterentwicklung der Ausbildungsprogramme und für die Auswahl und Ausbildung der kommenden Masterinstruktoren in Europa.
DIE ENTWICKLUNG
Kurze Zeit später entstand Schwinn Cycling. Was war der Grund?
Warum es im Jahr 2000/2001 zur Trennung zwischen Spinning (MDA) und Schwinn kam, weiss ich bis heute nicht genau. Schwinn war bis zu dieser Zeit der Lizenznehmer des Spinning Programms und auf der anderen Seite natürlich die Firma, welche die Bikes produzierte und weltweit verkaufte. Alle damaligen Master Instruktoren hatten einen Vertrag mit MDA. Der Bruch war für uns nicht leicht. Einige blieben beim Spinning Programm, andere hörten ganz auf. Ein Kernteam von uns entwickelte unter der Leitung von Theres Mosimann und meiner Unterstützung das Schwinn Cycling Programm.
Und das sehr erfolgreich, oder?
Nun, in der Schweiz, Deutschland, Schweden und England ging es sehr schnell voran. Andere Länder folgten rasch. Vorher, als Lizenznehmer vom Spinning Programm waren uns natürlich inhaltlich die Hände gebunden. Dinge, welche wir zum damaligen Zeitpunkt anpassen wollten, durften wir nicht ändern. Diese Möglichkeit bestand jetzt.
Neue Wege
Was war das konkret?
Spinning hatte zu diesem Zeitpunkt das Problem, dass es durch die persönlichen Inputs von Johnny G. stark auf der mentalen Ebene war, jedoch auf der trainingswissenschaftlichen und physiologischen Ebene zu wenig fachliche Tiefe hatte. Nur sehr wenige Instruktoren und Instruktorinnen waren in der Lage, die psychologischen Aspekte des Programms zu vermitteln. Deshalb hatte Spinning in den Anfangsjahren den Ruf nur für die «Velofreaks» zu sein und so hochintensiv, dass es den normalen Fitnesskunden teils sogar abschreckte. Das Ziel von Schwinn Cycling war es, mehr wissenschaftlichen Background in die Aus- und Weiterbildung zu bringen, als auch die Personen für die Lektionen zu begeistern, welche nicht vom Radsport kommen. Wenn ich so zurückdenke und mir die grossen Events vor Augen halte, ist dies auch gelungen.
Was hättest du aus heutiger Sicht anders gemacht?
Wir hätten von Anfang an versuchen sollen, den Ausbildungsbereich vom Verkauf der Bikes zu trennen. Die Abhängigkeit von Schwinn Cycling vom amerikanischen Mutterhaus ist Schwinn Cycling mehrfach zum Verhängnis geworden. Die Amerikaner haben den ganzen Ausbildungsbereich als weit weniger wichtig eingestuft und ihn mehr als Marketingtool benutzt, welches den Verkauf der Bikes fördern soll. Mehrmals ist Schwinn verkauft, das Management ausgewechselt und der Educationbereich gestoppt bzw. neu strukturiert worden. Wäre der Ausbildungsbereich eigenständig gewesen, wäre Indoor Cycling aus meiner heutigen Sicht noch ein Stück besser unterwegs. In anderen Ausbildungen ist dies ja auch so. Wenn man z.B. eine Ausbildung im Krafttraining machen möchte, die über eine «Produktschulung» hinausgeht, ist die ja auch nicht abhängig von einem Gerätehersteller. ICG in Deutschland hat dies über die Jahre hinweg sicherlich besser gemacht.
DIE EINZIGARTIGKEIT
Und was fasziniert dich genau am Indoor Cycling?
Indoor Cycling hat eine Komponente, die ich in keiner anderen Sportart erkenne: die Kombination aus körperlich herausfordernder Belastung und dem sogenannten internen Fokus. Es gibt diese Momente, in denen alles im Einklang ist. Du bewegst dich im Rhythmus der Musik, bildest eine Einheit mit dem Bike. Die Melodie der Musik “erzählt” ihre Geschichte und weckt intensive Emotionen. Deine Atmung, dein Herzschlag sind gleichmässig und du versinkst mit jeder Pedalumdrehung tiefer und tiefer in deine “innere Welt”. Deine Gedanken sind nur im Hier und Jetzt. Du grübelst nicht über Vergangenes, planst nicht gedanklich schon deine Zukunft. In diesen Momenten spürst du die Einheit mit deiner Trainingsgruppe. Es braucht dann keine grossen Worte mehr.
Dazu braucht es aber schon auch Instruktoren, die ihre Teilnehmer dementsprechend coachen können?
Natürlich! Die Sportart Indoor Cycling hat in den letzten Jahren zwar nochmals einen Sprung nach vorne gemacht. Vor allen Dingen das wattgesteuerte Training hat hier dazu beigetragen, dass die Intensitätssteuerung deutlich besser funktioniert, als wenn nur die Herzfrequenz zur Verfügung steht. Die virtuellen Möglichkeiten, welche heute über grosse Leinwände in die Cyclingräume projiziert werden, ist auch ein weiteres Tool, welches das Unterrichten einfacher, bzw. abwechslungsreicher macht.
Es bleiben aber unter dem Strich eben nur «Coachingtools». Nichts von dem kann die Fähigkeiten des Instruktors ersetzen, seine Gruppe von der ersten bis zur letzten Pedalumdrehung an sich zu binden. Alles steht und fällt mir der Leidenschaft der Instruktoren und Instruktorinnen. Wenn dieser Funke nicht überspringt, bleibt auch das beste Equipment nur «kaltes Metall».
DER INSTRUKTOR IM ZENTRUM – wertvolle Tipps
Was würdest du den heutigen Instruktorinnen und Instruktoren empfehlen?
Hauptvoraussetzung ist eine grosse Leidenschaft für Cycling. Wer Outdoorerfahrungen auf dem Bike hat, ganz gleich auf welchem Niveau, hat Vorteile, denn das Erlebte kann so in die Lektionen eingeflochten werden – schliesslich liegen die Wurzeln des Indoor Cyclings im Ultracycling. Darum halte ich auch nicht viel von Lektionen, bei denen mit Hanteln oder anderen Hilfsmittel auf dem Velo trainiert wird, oder halbe Zirkusübungen auf dem Rad absolviert werden. Es gilt seit jeher die Regel: “alles was man draussen auf dem Bike nicht macht, macht man auch nicht im Indoorcycling”. Persönlich habe ich viel von Rennrad – Trainingscamps profitiert. So lernte ich auch die Österreicher Christoph Strasser und Wolfgang Fasching kennen. Beide haben das RAAM unzählige Male gewonnen und ich konnte viel von ihren Erfahrungen mitnehmen.
Lernt ausserdem alle Trainingsintensitätsbereiche zu unterrichten und machen auch die ruhigen Lektionen zu einer spannenden Angelegenheit. Die Low End Endurance Lektionen sind die Königsdisziplin im Coaching, da durch die niedrige Intensität die Gestaltungsmöglichkeiten der Lektion fast ausschliesslich auf der mentalen Ebene liegen.
Schaut über den Tellerrand hinaus. Die Ausbildungsprogramme der bekannten Indoorcylinganbieter Spinning, Schwinn Cycling, ICG und Stages vermitteln zwar die gleiche Sportart, setzen aber unterschiedliche Schwerpunkte.
Das wichtigste: Bleibt ihr selbst! Es ist euer Charakter, eure Ausstrahlung, euer Charisma und eure Erfahrung, welche die Lektionen speziell und unverwechselbar machen.
INDOORCYCLING – EINE PASSION FÜRS LEBEN
Du hast eine Menge in der Indoorcyclingwelt erlebt. Was machst du heute?
Seit längerer Zeit leite ich den Gesundheitspark Thalwil und bin seit ca. 5 Jahren Vorstandmitglied des schweizerischen Fitness- und Gesundheitscenterverbands (SFGV). Als Präsident der höheren Berufsbildungen bin ich verantwortlich für die Entwicklung unserer eidg. Berufsabschlüsse in Bewegungs- und Gesundheitsförderung. Zudem bin ich Chefredaktor unseres Fachmagazins “Bewegungsmedizin” und stellvertretender Leiter der Geschäftsstelle des SFGV. Diese Tätigkeiten füllen mich ganz aus, so dass für Indoorcycling leider keine Zeit mehr bleibt. Deshalb bin ich auch vor knapp 3 Jahren als Masterinstruktor zurückgetreten.
Ganz loslassen werde ich allerdings nie können, dazu hatte Indoorcycling einen zu grossen Einfluss auf meine persönliche Entwicklung. Ich nutze IC natürlich für mein eigenes Training, in Kombination mit dem Rennvelofahren. So 8.000 – 10.000 km schaffe ich noch pro Jahr.
Zudem trainiere ich drei bekannte Persönlichkeiten aus der Indoorcyclingszene: Andrea Tüller, Patrick Eichenberger und Mario Müller. Sie haben im Ultracycling grosse Ziele und ich freue mich sehr darüber, meine Erfahrungen an sie weitergeben zu können.
Sollte es sich ergeben, dass ich hie und da nochmal auf einem Indoor Cycling Event dabei sein kann, sei es als Teilnehmer oder auch als Instruktor, sage ich deshalb sicher nicht nein.
Andre, wir danken dir vielmals für das interessante Gespräch und wünschen Dir auch weiterhin viel Spass mit Deiner Passion zum Rad.
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